„Jeder Mensch ist ein Künstler“ – Joseph Beuys
Letzen Herbst hatte ich das Privileg an einem unfassbar spannenden Projekt mitzuwirken: „MachArt“. Das obige Zitat von Beuys war unser Ausgangspunkt und gemeinsam mit der Regisseurin Nicole Schymiczek, der bildenden Künstlerin Kasia Prusik-Lutz und der Choreografin Tanja Kugler sowie den Tänzerinnen Sophia Ebenbichler, Tatiana Diara und Natsu Sasaki habe ich mich im Neuen Museum Nürnberg folgenden Fragen gestellt: Was ist Kunst? Was kann Kunst? Ist jeder Mensch ein Künstler? Und können wir gemeinsam vielleicht die Welt verändern?
Das Konzept mit dem wir diesen Fragen nachgehen wollten war kurzgesagt sehr komplex: Drei Ausdrucksformen: Tanz, Schauspiel und bildende Kunst präsentieren sich an je drei Spielorten im Neuen Museum: im Lichthof, an der Treppe und im unteren Foyer. Dabei bleibt das Publikum an seinem zu Beginn gewählten Ort und die Darsteller rotieren. Dann finden Sie in den Szenen 5 und 6 zusammen. Ein sehr aufmerksamer Leser mag sich nun Fragen: was ist mit Szene 4?
Für die 4. Szene musste das Publikum den Ort wechseln und den Künstlerinnen folgen, welchen es gerade zugesehen hatte. Nach einigen Proben mit Testpublikum wurde außerdem klar: Die Zuschauer gehen mit dem unguten Gefühl etwas verpasst zu haben, wenn Sie nicht alle Räume gesehen haben. Also wurde Szene 4 zweimal gespielt, wobei auch das Publikum nochmals den Ort wechselte, so dass am Ende jeder Zuschauer jeden Raum einmal gesehen hatte.
Mein Part in dem Projekt „MachArt“ war ein Monologstück Namens „HumanArt“ welches sich aus Texten und Zitaten verschiedenster Alter und Neuer Künstler zusammensetze. Während das Gerüst des Monologs sehr schnell stand gab es eine Szene für die ich lange Erfolglos suchte. Da es für das Gelingen der sechsten Szene von Nöten war in der vierten Szene die Zuschauer zum mitmachen zu bewegen und einige Wörter aus ihnen heraus zu kitzeln brauchte es einen Text der Sie sanft ans Ziel führte. Schließlich kam mir die Idee auf Instagram die Frage in die Welt zu stellen „Was ist Kunst?“ und aus den Antworten die ich erhielt und einem dadaistischen Zahlengedicht kreierte ich dann einen Text der perfekt geeignet war um die Zuschauer zum nachdenken anzuregen.
Szene 1: Für mich startete die Vorstellung im Hintergrund während die Zuschauer sich für einen von drei Sinnen entschieden (Hören, Sehen oder Fühlen) und so ihren Startpunkt festlegten. Gemeinsam mit der Gruppe „Hören“ betrat ich daraufhin den Lichthof, wo ich am Boden sitzend mit meinem Monolog begann. Nach der Begrüßung verband ich während des weiteren Textes die Zuschauer mit einer Papierrolle zu einem großen Gesamtkunstwerk, riet Ihnen: „Schütze die Flamme“ und verwirrte Sie dann mit einem Lautgedicht um schließlich zu fordern: Lasst uns unsere Gesellschaft neu erschaffen. So wie wir Sie uns wünschen. Danach lies ich die Zuschauer zurück, in dem Wissen, dass Sie bald die Performance von Kasia Prusik-Lutz würden sehen dürfen.
Szene 2: Das Publikum zunächst ignorierend Schritt ich zielstrebig zur Treppe, löste dort müßig die verknoteten Fäden und nahm schließlich Kontakt zum Publikum auf (im Idealfall kurz vor Beginn der Musik der Tänzerinnen aus dem unteren Foyer).
Was mir nach der ersten Probe mit Publikum klar wurde: Ich bin ungeschützt.
Diesmal wurden, statt einer Papierrolle, rote Fäden in die Hände der Zuschauer verteilt. Mit den gesprochenen Texten versuchte ich die Fäden aufzuladen mit Wünschen, Hoffnungen und Träumen für eine bessere Zukunft. Danach wob ich Sie zusammen zu einem Gesellschaftsteppich, der für mich symbolisch für die Zusammenarbeit stand, die es braucht um etwas zu verändern. Ein letzter Blick nach oben zu „Dantes Sternen“ und weiter geht die Reise…
Szene 3: Im unteren Foyer warteten bei jeder Vorstellung gleich zwei große Herausforderungen auf mich. Als Erste: Die Spannung halten um die Zeit zu überbrücken welche es braucht bis zum Beginn der Musik, wenn die Tänzerinnen auf Position sind. Das heißt: Alleine in einem riesigen Raum vor einem wartenden Publikum die Stille aushalten. (Besonders schlimm wird es, wenn man in genau diesem Moment kurz vor einem Hustenanfall steht…)
Die zweite Herausforderung war dem Umgang mit den Requisiten geschuldet. Hunderte kleiner Pingpongbälle wollten unter Kontrolle gehalten, manche gar den Zuschauern zum spielen in einem Netz überlassen werden. Die Idee dahinter: Wenn wir zusammenarbeiten können wir Alles schaffen. Jedoch verblassen diese Schwierigkeiten im Vergleich zu den Herausforderungen der nächsten Szene. Mit einem „Bitte“ und einer Geste in Richtung Gang forderte ich das Publikum auf mir wieder in den Lichthof zu folgen.
Szene 4 (a und b): Im Lichthof angekommen setze mich einmal mehr mitten unter die Zuschauer. Und da war Sie dann. Die Frage. Was ist Kunst? Während dies die Leitfrage für diese Szene war über die das Publikum nachdenken sollte, stellte ich mir in den Proben vor allem folgende Frage:
Was passiert, wenn man einem Zuschauer ein Kunstobjekt in Form eines übergroßen Ohres vor die Nase hält?
Die Antwort auf diese Frage haben mir die Aufführungen dann beantwortet: meistens hat es den von mir gewünschten Effekt und der Zuschauer spricht ein Wort als Antwort auf die Frage in das Ohr. Architektur, Filme, Backen, Haare schneiden, Du (Was für ein wunderbares Kompliment!). Manch ein Zuschauer weigert sich auch etwas zu sagen oder bringt unter dem Druck verständlicherweise nicht mehr heraus als ein Äh/ keine Ahnung. Und manchmal… läuft es sehr unerwartet und der erste hält nur sein Ohr an das Kunstobjekt und lauscht um zu hören, was da wohl herauskommt (denn zuvor hat ja die Schauspielerin auch dort hineingesprochen, dass Sterne, Sonnenuntergänge und Kaffee kochen Kunst seien). Und dann kommt es wie es kommen muss und dem Vorbild des ersten folgen alle anderen und man versucht eine Minute lang verzweifelt und nahezu vergeblich ein Wort aus den Zuschauern herauszubringen. Gottseidank gab es aber jedes Mal noch die zweite Chance, wenn die Szene 4 mit einer der anderen Publikumsgruppen wiederholt wurde.
Szene 5: Danach ging es hinab ins Auditorium wo für den Zuschauer Schauspiel, Tanz und eine virtuelle Realität aufeinander trafen, während hinter den Kulissen bereits fleißig die Kunstinstallation für die sechste Szene vorbereitet wurde.
Im Auditorium gab es zunächst wenig Sprache und viel Tanz. Erst hörte man nur die Geräusche der VR-Welt, dann durfte Sie das Publikum auch sehen. (Eine spannende Erkenntnis, welche hier die Vorstellungen brachten ist, dass die Zuschauer felsenfest davon überzeugt sind, dass die Tänzerin auch mit einer VR Brille auf dem Kopf noch die Umgebung sieht.) Was jedoch kaum jemandem auffiel, waren die Parallelen zwischen der virtuellen und der tatsächlichen Realität, da für uns das Auditorium genauso wie es ist (vor allem mit den selben Maßen, was die freie Bewegung im Raum gewährleisten sollte) im virtuellen Raum nachgebaut wurde. Daraufhin wurde es mit Pflanzen, Bäumen, Videos von Coyoten, toten Hasen und zu guter Letzt einem Kunstwerk von Kasia gefüllt.
Wir wollen an dieser Stelle die technischen Schwierigkeiten, vor welche uns diese Szene immer wieder stellte sowie die Nervosität aufgrund der Frage, was wohl während dieser Vorstellung wieder schief gehen würde oder könnte, einmal außen vor lassen. Es wäre einfach zu viel zu sagen.
Schließlich beeinflussten meine gesprochenen Worte die Bewegung der Tänzerinnen. Und die Szene endete damit, dass die Tänzerinnen das Zitat von Beuys vervollständigten mit welchem ich die Szene begonnen hatte. „Hilflos stehen die Leute davor, weil Sie nicht die Geduld haben sich die Dinge richtig anzusehen. Die Leute bleiben immer am Bild kleben.“
Szene 6: In dieser Szene sollte nun alles zusammenfließen. Während ich in Szene 4 den Zuschauern Worte entlockt hatte, hatten Sie bei Kasia Dias malen dürfen und waren von den Tänzerinnen ohne ihr Wissen gefilmt worden.
Nun waren insgesamt drei Projektoren und zwei Bluetooth Boxen im Einsatz. Ein Projektor zeigte die Dias, ein anderer den Film der Tänzerinnen und der letzte war auf die riesige Rückwand des Foyers gerichtet.
Eine der Bluetooth Boxen spielte die Worte ab, die ich aufgenommen hatte. Nach Ende von Szene 5 öffneten die Tänzerinnen die Türen des Auditoriums ins Foyer und nach ihnen strömten die Zuschauer hinaus. Langsam wandelten die Tänzerinnen durch die Installation und betrachteten sie in unterschiedlichen Haltungen, bis schließlich Musik einsetze und sie zu tanzen begannen.
Während dieser Tanzszene begann ein Film den die Künstlerin Kasia Prusik-Lutz gezeichnet hatte und wurde auf die hintere Wand geworfen. So verbanden sich Tanz und bildende Kunst zu einem Gesamten.
Als sich die Choreografie schließlich dem Ende neigte (der Film lief danach als Teil der Kunstinstallation weiter) durfte ich ein letztes Mal „von oben herab“ zum Publikum sprechen. Es war meine Aufgabe den Zuschauern gleichsam zu dem gelungenen Abend zu gratulieren, da sie „die Helden dieses Stücks“ gewesen waren und sie des Weiteren einzuladen zu entscheiden, wie sie den Abend bewerten würden.
„Was war das?“, „Ist das Kunst?“ oder „Kann das weg?“
Dass der Abend in einer Art Vernisage endete bot uns die wundervolle Möglichkeit, die Antwort der Zuschauer auf diese Fragen direkt nach den Vorstellungen zu erfahren. Jeder Zuschauer war aufgefordert sich ein Getränk aus einem Kasten mit der jeweiligen Aufschrift zu nehmen und gemeinsam mit den anderen Zuschauern die neu erschaffene Kunstinstallation zu betrachten, Teil davon zu werden, sich über das erlebte auszutauschen, oder selbst für einen kurzen Moment in unsere VR-Welt einzutauchen.
Jede einzelne der vier Vorstellungen von „MachArt“ im Neuen Museum in Nürnberg war mehr als ausverkauft. Wir mussten jedes Mal Stühle dazu stellen, teilweise wurden Stehplätze verkauft. Das Feedback war überwältigend.
Eine wichtige Frage die wir uns während dieses Projekts stellten war: Können wir etwas im Zuschauer bewegen und ihn seine eignes schöpferisches Potential kosten lassen?
Die Antwort ist eindeutig: Ja. Ein unglaubliches, wunderschönes und glorreiches Ja.
Nicht nur erzählte mir eine Zuschauerin danach sie sei bestärkt in ihrem Weg und wolle Sich mit neuer Kraft und neuem Mut in ihre Aufklärungsarbeit stürzen, eine zuschauende Künstlerin schickte mir nach der Vorstellung ein Bild, dass sie inspiriert von dem Projekt gemalt hatte und erzählte mir von einem Text an welchem sie gerade arbeite.
Auch dieses Werk von Saskia Meisl möchte ich hier unbedingt teilen!
Mein persönliches Fazit ist: Ich habe es zutiefst genossen und bin unglaublich dankbar dafür dass es mir möglich war dieses Projekt umzusetzen. Es war eine unglaublich spannende Reise auf der ich viel ausprobieren und lernen durfte.
Dieses Vorhaben wurde im Rahmen des Stipendienprogramms des Freistaats Bayern Junge Kunst und neue Wege unterstützt.